3. Der Ärmelkanal – In guten wie in schlechten Zeiten

Ein Beitrag geschrieben von Katja:

Wir schreiben den 17. August im Jahre 2023. Gegen 0600 morgens ist der Plan in Boulogne-sur-Mer abzulegen. Wir stellen jedoch fest, dass wir für die letzte Nacht noch nicht bezahlt haben und dass das Hafenbüro erst um 0700 öffnet. Naja, dann fahren wir halt erst um kurz nach 7 los…
Wir motoren „as quickly as possible“ aus der Hafeneinfahrt raus, nachdem wir über Funk die „permission to cross the harbour“ bekommen haben. Kurz hinter der Hafenausfahrt wartet ein Segler in Fahrtrichtung Hafen vermutlich auf die Freigabe das Hafenbecken zu passieren. Als der Segler ungefähr querab von uns ist, fängt er sehr schnell an rückwärts zu fahren und düst rückwärts in einem großen Bogen vor unserem Boot lang. Wir halten unseren Kurs bei und wundern uns was wohl sein Auftrag sei. Als er auf unserer Steuerbord-Seite angekommen ist, legt er den Vorwärtsgang ein und fährt seitlich an uns vorbei Richtung Hafenausfahrt. Kurz darauf lässt er sich wieder zurückfallen, kreuzt zwei-drei mal unser Kielwasser um dann doch an uns vorbei aus dem Hafen rauszufahren. Komischer Vogel…

Der Plan sieht vor, dass wir am nächsten Tag abends gegen 1900 in Cherbourg einlaufen. Das sind insgesamt 147sm Richtung Westen. Die Windvorhersage sagt heute morgen 5kn aus nordost – den Tag über mehr werdend. Gegen 1700 soll der maximale Wert von 23kn erreicht werden und erst in den frühen Morgenstunden wieder bis auf 5kn abflauen. Anders gesagt: Wir haben schönen Schiebewind von hinten und können gut Strecke machen. Am 18. tagsüber müssen wir vermutlich das letzte Stück motoren… so der Plan!

Gegen 0830 setzen wir die Segel auf „Schmetterling“ was soweit auch ganz gut funktioniert. 1,5 Stunden später pulen wir den Spinnaker raus und machen bei 7/8kn Wind 3kn Fahrt durchs Wasser. Der Strom läuft mit ca. 1 kn mit uns. Von den Farben und dem Stoff ähnelt der Spinnaker (Spi) einem Schwungtuch wie die, die es bei Kinderfesten zu sehen gibt. Der Spi ist nur bei Leichtwind und achterlichen Winden zu fahren – also perfekt für die jetzige Situation. Das Wetter ist herrlich und der Ärmelkanal scheint es gut mit uns zu meinen. Um 1108 cremt sogar Jan sich freiwillig mit Sonnencreme ein. Um kurz vor 1200 stellen wir fest, dass der Strom nachgelassen hat. Wir fahren bei inszwischen 12kn Wind stabile 5,4kn durchs Wasser. 

Kleiner Sidefact: Jedes Boot hat bedingt durch die Form, Größe und das Gewicht eine Maximalgeschwindigkeit, die das Boot fahren kann. Unsere maximale Rumpfgeschwindigkeit liegt rechnerisch so bei 7,6kn Fahrt durchs Wasser (14kmh). Über Grund kann man dem entsprechend schneller sein, wenn der Strom mit einem ist.

Da wir bereits schon 13kn Wind von hinten haben und der Wind noch weiter zunehmen soll, holen wir den Spinnaker wieder rein und fahren mit dem Schmetterling weiter. Zudem rechnen wir damit, dass der Strom kippt und wir die nächsten 6 Stunden Wind gegen Wasser haben und sich dadurch mehr Welle aufbaut. 

Gegen 1500 hat der Wind auf 16kn zugenommen. Der Strom ist komischerweise mit 1,5kn wieder mit uns, sodass wir 7,5kn über Grund fahren. Es sind noch 105sm bis nach Cherbourg. Der Strom, der Wind und die Welle nehmen im Laufe des Nachmittags noch weiter zu. Bis auf, dass der Strom immernoch mit uns ist, läuft alles wie geplant.

Wir sind anscheinend in ein nicht markiertes Fischergebiet gefahren. Die nächsten 10sm finden wir immer wieder Fischerbojen um uns herum. Eine Boje sehen wir erst als sie ca. 1m nehmen unserem Cockpit vorbeirauscht.
Die Welle trägt uns vor sich her und der Strom schiebt gut. Es ist etwas schwierig zu steuern, da man aufpassen muss, dass die Welle exakt von hinten kommt. Sonst verdreht die Welle das Boot und wir fahren spontan in eine andere Richtung. Die Segel schlagen dann um. Das ist nicht so gut für das Material und auch für uns etwas schaukelig. Wir brechen unseren Geschwindigkeitsrekord und fahren mit der Welle 8,9kn durchs Wasser und stabile 11,3 kn über Grund. Das fühlt sich fast an wie fliegen. 

Die Person, die gerade steuert muss sich gut konzentrieren und die Wellen so gut es geht weg parieren damit das Boot ungefähr den Kurs von 240 Grad beibehält.
Wir bereiten uns auf die Nacht vor. Gegen 2030 stellen wir fest, dass der Strom nachgelassen hat. Das fehlt uns jetzt noch, dass zur Nacht hin der Strom kippt. Kommt der Wind weiterhin von hinten und der Strom fortan von vorne, baut sich eine kurze unangenehme Welle auf. Nach unserer Planung hätten die letzten 6 Stunden Strom gegen uns sein müssen und jetzt nun wieder mit uns…

Die Wellen werden höher – bis zu 3m. Der Wind mit 25kn schiebt gut von hinten. Wir sind alle mit Saftyleinen gesichert. Um 2111 passiert es das erste mal. Die Welle zieht das Heck vom Boot zur Seite, sodass wir parallel zur Welle fahren. Ungefähr so wie man das bei Wellensurfern sieht. Nur dass wir auf einem Segelboot sind und der Laufweg der Backbordseite durch die Schräglage vollständig überspült wird. Wasser rauscht unter die Sprayhood. Die Segel schlagen um. Jetzt heißt es das Ruder festhalten und warten bis die Welle vorbei ist damit wir wieder unseren Kurs aufnehmen können. Das war auf einmal ganz schön viel Wasser mit ganz schön viel Schräglage. So schnell waren wir noch nie. 
Gut, wir fahren wieder den gewünschten Kurs und wir holen das Vorsegel rein. Noch 50sm bis Cherbourg. Also gute 8 Stunden wenn wir mit der Geschwindigkeit weiterfahren. 
Der Strom gegen uns nimmt zu. Die Welle wird dadurch höher und kürzer. Passend dazu verschwindet gerade die Sonne am Horizont. Man sieht die Wellen nun nicht mehr kommen, sodass es noch schwieriger wird das Boot passend zur Welle zu steuern. Wir werden durchgeschaukelt durch das ständige auf und ab. Die Großschot schlägt trotz Bullenstander (Leine, die das umschlagen verhindern soll) um. Es rumst noch einmal und der Baum schlägt wieder auf die andere Seite. Aber Moment – warum ist die Großschot lose?! Die Verbindung vom Baum zum Cockpit ist gebrochen. Das Großsegel und der Baum werden von dem Wind unkontrolliert an die Wanten gedrückt. Jetzt heißt es Motor an und aufpassen, dass der Baum auf der Steuerbordseite bleibt. Ein Glück haben wir noch den Bullenstander, der auch am Ende des Baums festgemacht ist. Wir fahren so vorsichtig es gerade geht in den Wind. Der Baum schwingt zurück ins Cockpit. Es ist inzwischen stockdunkel. Wir versuchen die Großschot mit einem Karabiner wieder an den Baum einzuhängen. Das Großsegel flattert und zieht am Baum. 

Beim 4. Versuch klappt es – sehr gut. Wir lassen die Bullenstanderleine als Backup parallel zur Großschot laufen und fallen leicht ab, damit das Segel nicht mehr so schnell umschlagen kann. Trotzdem passiert es und diesmal verfängt dich die Großschot am Solarpanel. Die Großschot faltet das Solarpanel zusammen, löst die Verbindungen zum Seezaun und legt das Solarpanel neben Jans Schulter ab. Das Ganze ungefähr in 0,5 Sekunden. Das Cockpit ist voller Scheiben. Niemand ist verletzt. Wir entscheiden uns dazu den Kurs Richtung Süden aufzunehmen und den Hafen „le havre“ in 30sm Entfernung anzulaufen. Das sind zwar immernoch 6 Stunden Fahrt, aber in der Richtung soll der Wind als erstes nachlassen und wir haben Wind und Strom (von wo der auch immer kommt) von der Seite. Gegen 0630 kommen wir mit der Dämmung heile und groggi im Hafen an.

So schön der Tag auch begann, hatte die Nacht es in sich. Wir haben ein Solarpanel verloren, eine kaputte Umlenkrolle und einen ausgekippten Aschenbecher im Cockpit – aber darum kümmern wir uns morgen!

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